Mittwoch, 24. November 2010

Ootacomund. Ooty ist die bekannteste der Bergbahnstationen in den Nilgirisbergen im indischen Staat Tamil Nadu. Eine Sommerfrische für indische Touristen, die das kühle Klima der Eukalyptuswälder und Teeplantagen schätzen. Divali, das Lichterfest mit seinen großen und kleinen Feuerfontänen verzaubert die nebelverhangenen Bergspitzen.

Die Menschen im dauerheißen indischen Süden lieben Schnee und Kälte. Der schnellste Weg in ein für sie etwas günstigeres Klima geht für sie in die Blauen Berge, wie der Nilgiris im Staate Tamil Nadu auch genannt wird. Dort liegt Ootacomund oder kurz Ooty - rund 2300 Meter über dem Meeresspiegel - wo es sogar manchmal ein wenig schneit. Schon wenn das Thermometer auf 20 Grad sinkt, verlassen die Wärme verwöhnten Inder dort das Haus nicht ohne Pudelmütze und setzen sie auch zu Hause auf. Denn die Wohnungen haben keine Heizung, nur wenige einen Kamin im Wohnzimmer. Trotz eingemummeltem Oberkörper trägt allerdings niemand zu dieser Jahreszeit Socken - noch nicht, beteuert uns die Hotelmanagerin. Erst wenn das Thermometer noch weiter sinkt, friert man hier auch an den Füßen, sagt sie. In ihrem Salwar Kameez, einer Kombination aus einer weiten Hose und einer langen Bluse, mit Strickjacke und Bommelmütze serviert sie uns das Abendessen.Wir kommen gerade vom Flughafen per Taxi, das uns aus der schweißtreibenden Hitze aus dem 80 Kilometer entfernten Coimbatore in die Kühle der Berge gebracht hat.

Das Wallwod Garden Hotel erinnert an längst vergangene Kolonialzeiten. Damals, als die Briten nicht nur die Bergbahn eröffneten (1908), sondern auch Udagamandalam in Ootacammund umbenannten. Es ist November und wir befinden uns in Conoor, einer  Bergstation an der Eisenbahnstrecke nach Ooty. Nicht ganz so hoch gelegen, aber dafür ruhiger und übersichtlicher als Ooty. Obwohl es Winterzeit ist, blühen orangefarbene Strelitzien, baumhohe Christsterne und stahlblaue Winden, die dem Hotelgarten einen farbigen Kick verpassen.

Am nächsten Morgen starten wir vom Bahnhof Conoor mit der schmalspurigen Toy Train (der "Spielzeug-Eisenbahn") zur Endstation nach Ooty. Am Fahrkartenschalter drängelt sich mal wieder alles vor - mein Problem, ich hatte mich nicht eng an meinen Vordermann gequetscht, wie es hier die meisten machen, sondern eine für mich ganz normale Lücke gelassen. Der Toy-Train hat einen Erste-Klasse-Waggon mit verschließbaren Fenstern, während alle anderen Waggons offen fahren. Trotzdem haben wir uns vorsichtshalber mit Jacke und Schal ausstaffiert. Und es wird nicht nur immer kühler, sondern der dampfbetriebene Zahnradbahn schiebt den Zug immer langsamer vor sich her, je höher wir kommen.Wellington, Aruvankadu, Ketti, Lovedale heißen die Stationen, die wir passieren. Der Nebel lichtet sich zwischen den Bäumen und unter uns tun sich abwechselnd tiefe Schluchten und sanft geschwungene Hochtäler auf. Alles erinnert an Tolkiens Land der Hobbits, denn die Häuser, die an den Teehängen kleben, sind nicht nur winzig, sondern auch kunterbunt. Pink, lila und kanllgrüne Hütten haben wir nun wirklich nicht erwartet. Es riecht frisch nach Eukalyptus und zwischen den Ästen, die bis tief herunterhängen, turnen Makaken, Affen, die den Zug neugierig beäugen.

Auf den fruchtbaren Feldern und terrassenförmigen Plantagen im Nilgiris wachsen Tee, Kakaobohnen, Gemüse und Obst. Jede Möhre und jede Kartoffel, die wir zu Hause in Madras kaufen, wird über einige hundert Kilometer in die Tamilische Hauptstadt gebracht. Manchmal erscheint es wie ein Wunder, dass die Waren in Madras auch wirklich ankommen, wenn man die unwegsamen Straßen bedenkt.

An einem Hang entdecken wir eine kleine Büffelherde. Sie gehört den Todas, den Milchbauern des Landes. Die halbwilden Büffel werden von Priestern gemolken, denn die Tiere gelten als heilig ebenso wie der gesamte Prozess der Milchproduktion. Es soll noch rund 700 Todas im Lande geben, ein Volksstamm, bei dem es zumindest früher Sitte war, dass eine Frau mehrere Ehemännder hatte. Todas, die zu den Ureinwohnern des Landes zählen, unterscheiden sich von der übrigen Bevölkerung durch ihre helle Hautfarbe und ihren hohen Wuchs und gelten als besonders friedlich.

Bei uns im Abteil sitzt eine indische Familie, ein indisches Paar mit den Schwiegereltern und zwei Töchtern. Die kleinen Mädchen erzählen uns, dass sie hier zusammengekommen sind - die eine Familie aus Coimbatore in Tamil Nadu, die andere aus dem dem Staat Andra Pradesh - um Divali zu feiern. Man treffe sich jedes Jahr abwechselnd an beiden Orten.

Endstation. Udagamandalam steht hier auf dem Schild, obwohl sich Ooty als Name eingebürgert hat. Als wir aus dem Bahnhof rausmarschieren, sind wir bereits im dicksten Stadtgetriebe. Für eine beschaulichen Bergort, wie wir es uns vorgestellt haben, ist es hier viel zu laut und hektisch. Wir wollen uns zu einem der größeren Hotels fahren lassen, um erst mal einen Plan zu machen. Aber entweder kennt hier niemand das Hotel oder man versteht uns nicht. Also beschließen wir, auf gut Glück zu Fuß loszugehen. Schließlich finden wir ein Coffee Day, eine Art Starbucks Café, wo wir ein wenig geschützt sind vom Straßenlärm.

Nach unserer Recherche im Internet hatten wir angenommen, dass es in Ooty eine Touristen-Information gibt oder zumindest Hinweise auf Wanderwege, denn auf einer Website hatten wir erfahren, dass Ooty eine beliebte Wandergegend ist. Aber wir entdecken keine Hinweise darauf. Vielleicht hätten wir ein wenig gründlicher planen müssen. Der Einfachheit halber entschließen wir uns, den künstlichen See zu umrunden, der ohnehin das Ziel aller Ausflügler zu sein scheint. Der Weg führt uns zunächst durch einen Freizeitpark mit Tretbooten, einer Dauerkirmes und einem Ponyhof. Es gibt es eine asphaltierte Straße, die uns rund um den See führt. Anscheinend sind wir die einzigen, die den Rundgang zu Fuß machen. Bald merken wir auch warum: Der See ist größer als wir vermutet haben und die Strecke viel länger als erwartet. Wir entdecken hübsche Villen und einige Uferanlagen, die aber alle nicht zugänglich sind. Auch hier scheint alles menschenleer und ausgestorben. Ab und zu kommt ein Auto vorbei.

Endlich zurück im bunten Treiben von Ooty besuchen wir den Markt, dessen Stände unter einer großen Überdachung liegen. Kühe tun sich am überall verstreuten Abfall gütlich. Die Ziegen haben dagegen entdeckt, dass Filmplakate delikat schmecken und ziehen das Papier mit ihren Lippen sorgfältig von der Hauswand und verspeisen es genüßlich. 

Hier und dort gibt es Stände, die Feuerwerke für Diwali verkaufen. Auch wer nicht viel verdient, gönnt sich den Spaß, besonders die jungen Leute lieben - wie überall auf der Welt - alles, was Krach macht.


 Wir kaufen uns lieber einige Tüten von der hausgemachten Schokolade, die es in kleinen Konditoreien in verschiedenen Geschmacksrichtungen gibt. Sie wird lose nach Gewicht verkauft und schmeckt besonders delikat, finden wir. Wir besorgen auch für unsere indischen Freunden ein paar Beutel, obwohl wir wissen, dass sie eigentlich viel lieber die Euopäischen Marken wie Lindt und Co. mögen.   

Den vorletzten Zug nehmen wir hinunter nach Conoor bergabwärts. Auf der Strecke erwartet uns ein wunderschöner Anblick. Wie im Märchen sind die Täler vom Nebel verhüllt und auf den Hügeln sehen wir die Lichter der Häuser und die Feuerwerke, die überall gezündet werden. Der Lichterzauber sieht aus, als ob er über allem schwebt. Müde von den Erlebnissen des Tages schaue ich aus dem Fenster und träume mich in die Lichternebel hinein. So hat es sicher in Tolkiens Land der Elben ausgesehen

Nach etwa einer Stunde kommen wir wieder in Conoor an und laufen den Berg hinauf zu unserem Hotel, noch ganz verzaubert von den Eindrücken.

Text und Fotos: Senya Müller